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4. Kapitel: Wer ist das denn?

Die Tal-Ente ging weiter durch den bunten Mischwald. Es gab dort viele verschiedene Bäume: Buchen und Eichen, aber auch Fichten, Kiefern und Tannen. Es roch würzig nach Harz und dem feuchten Waldboden. Im kühlen Schatten der vielen Bäume watschelte die Tal-Ente weiter.
Da hörte sie ein hohes Stimmchen, es klang, als würde das Tier etwas aufzählen. Doch von wo kam die Stimme?
Die Tal-Ente blickte sich um und lauschte.
„Da sind vier und dort sieben. Ach ja und hinter dem Busch sind noch fünf.“
„Wer ist das denn?“, fragte sich die Tal-Ente. Über ihr erstreckten sich die Äste und Zweige einer alten Eiche. Mit einem dumpfen Ton fiel eine reife Eichel direkt neben der Tal-Ente auf den Waldboden und gelbgefärbtes Laub segelte raschelnd hinterher.
„Huch!“, die erschrockene Tal-Ente duckte sich.
„Haaaalt! Das ist meine Eichel! Die darfst du nicht fressen!“, rief die Stimme ganz aufgebracht vom Baum herunter.
Da erkannte die Tal-Ente, wer da schrie. Es war ein Eichhörnchen. Schon erschien das rot-braun gefärbte Tier zwischen den herbstlichen Blättern der Eiche. Hätte es nicht so geschrien, hätte die Tal-Ente es wohl nicht bemerkt, so gut war es durch die Farbe seines buschigen Fells getarnt.
„Keine Sorge!“, beruhigte die Tal-Ente das Eichhörnchen. „Ich mag gar keine Eicheln, du kannst sie gerne haben.“
„Puh, da habe ich ja Glück gehabt! Du weißt ja gar nicht, was ich hier im Wald alles erlebe! Kaum fällt mir eine Haselnuss oder eine Eichel herunter, schon hat sie mir irgendein Tier weggefressen. Die frechen Wildschweine zum Beispiel. Oder Mäuse und andere Eichhörnchen natürlich. Auch die Rehe und der große Hirsch machen keinen Halt vor meinen Leckerbissen. Auf meine geliebten Tannenzapfen muss ich natürlich am meisten aufpassen! Und die Bucheckern verliere ich auch manchmal, wenn ich von Baum zu Baum springe, um ein neues Versteck zu finden. Ach, immer diese Aufregung – aber sag mal, wer bist du eigentlich?“, kam das hektische Eichhörnchen zum Ende. Neugierig kletterte es ein Stück kopfüber den Baumstamm herunter.
„Ich bin die Tal-Ente. Ich mache eine Reise auf den Berg um die Berg-Ente dort oben zu besuchen.“
„Aha. Und deswegen muss ich jetzt wieder von vorne anfangen!“, meinte das Eichhörnchen etwas verärgert und bewegte seine spitzen Ohren rasch hin und her.
„Was hast du denn gerade getan?“, wollte die Tal-Ente wissen.
„Ich habe gezählt. Bald kommt der Winter, da brauche ich doch einen guten Vorrat an Futter. Ich habe gerade überlegt, wo ich wie viele Nüsse, Zapfen und anderes Futter versteckt habe.“ Das Eichhörnchen sprach immer schneller. „Schließlich muss ich mir das alles merken! So einfach ist das nicht, wiederholen ist da ganz wichtig! Wenn ich ein Versteck vergessen würde, hätte ich im kalten Winter ja auch weniger zu fressen!“, erklärte das Eichhörnchen hastig. Schon sprang es flink herab auf den Waldboden, nahm die heruntergefallene Eichel zwischen die Zähne in sein kleines Mäulchen und kletterte wieder am Stamm hoch zu seinem Bau in den Ästen. Dort verstaute es seine Beute und dachte laut und konzentriert:
„Also, da sind vier Haselnüsse und dort im Strauch sieben Eicheln, und hinter dem Busch noch fünf Kiefernzapfen. Das macht dann insgesamt wie viel…?“, überlegte es mit nachdenklichem Gesicht.
„Hm, vierzehn!“, quakte die Tal-Ente hilfsbereit.
„Nur vierzehn? Wirklich? Nein, da stimmt etwas nicht. Moment! Es tut mir leid, da hast du dich verrechnet. Es sind insgesamt sechzehn Leckerbissen, die ich hier für den Winter versteckt habe.“
„Oh, du hast recht!“, gab die Tal-Ente zu, nachdem sie nachgerechnet hatte. „Ich habe einen Fehler gemacht.“
Sie war bestürzt. Bisher hatte sie doch allen helfen können, sie hatte alles gekonnt. Aber Rechnen konnte sie wohl nicht so gut.
Das kluge Eichhörnchen sah, dass die Tal-Ente traurig war und sagte:
„Ich finde es nicht schlimm, dass du dich verrechnet hast. Rechnen muss man üben, immer und immer wieder. Man muss viele Rechnungen machen um wirklich gut und schnell im Rechnen zu sein, das dauert! Aber wenn du möchtest, übe ich ein bisschen mit dir, wenn du wieder von deiner Reise zurückkommst!“, sagte das Eichhörnchen freundlich. Schließlich wollte die Tal-Ente nur helfen.
„Oh wirklich? Das würdest du tun? Ich möchte gerne mit dir Rechnen üben!“
Jetzt ging es der Tal-Ente wieder besser.
„Wenn ich auf meinem Rückweg wieder hier vorbeikomme, können wir gerne mit der ersten Übung beginnen. Ich freue mich jetzt schon darauf, von dir etwas zu lernen. Und es war mir ein Vergnügen, dich, liebes Eichhörnchen kennengelernt zu haben!“
„Ich habe mich auch gefreut! Bis wir uns wiedersehen werde ich mir ein paar schöne Aufgaben für dich überlegen.“
„Darauf bin ich schon gespannt, aber ich werde jetzt weiter dem Trampelpfad folgen, um zur Berg-Ente zu kommen. Auf Wiedersehen!“
„Ich wünsche dir eine gute Reise!“, sprach das Eichhörnchen und die Tal-Ente watschelte weiter durch den herbstlich bunten Wald. Die Stimme des Eichhörnchens, das wieder laut dachte, wurde immer leiser:
„Bei sechzehn war ich, genau. Und da hinten im Astloch sind noch sechs leckerer Tannenzapfen und zwei Bucheckern, drei rote Beeren und…“. Schon war die Tal-Ente so weit gegangen, dass sie das feine Stimmchen des Eichhörnchens nicht mehr hören konnte.
Sie war etwas betrübt, weil sie bei dieser Begegnung nicht gelobt worden war. Doch dann dachte sie:
„Mit dem lieben Eichhörnchen kann ich später noch viele Rechnungen üben. Außerdem kann ich ja auch nicht alles können. Im Rechnen ist das Eichhörnchen einfach besser als ich. Es freut mich, dass ich von diesem klugen Weggefährten in Zukunft noch etwas lernen werde.“, dachte die Tal-Ente nun wieder fröhlich.