Home / 7. Kapitel: Ein Guter Grund, um aufzustehen!

Die Tal-Ente watschelte weiter den Berg hinauf. Ab und zu sah sie sich um, um sicher zu gehen, dass der Fuchs sie wirklich nicht mehr verfolgte.
Die Bäume des Waldes wurden immer weniger und die Felsbrocken wurden größer, aber auch kantiger. Der Wind blies nun stärker und mit der Zeit beruhigte sich die Tal-Ente wieder.
Sie watschelte erneut eine Wegbiegung entlang, vorbei an hohen Felsen, da sah sie vor sich eine große Höhle. Neben der Höhle saß ein großer, brauner Bär. Er saß genau auf dem schmalen Pfad, den die Tal-Ente entlanggehen wollte. Das heißt, die Tal-Ente musste sogar dort entlang gehen, weil das der einzige Weg nach oben war! Die Sonne schien dem Bären auf den Pelz und als die Tal-Ente näher heran ging sah sie, dass er dort eingeschlafen war.
Sie wollte an ihm vorbeiwatscheln, doch der dicke, braune Bär versperrte den ganzen Weg. Sie dachte kurz nach und entschied dann, dass sie ihn aufwecken musste. Sie wollte ihn bitten, den Weg frei zu machen.
Behutsam sprach die Tal-Ente: „Guten Tag, Bär!“.
„Guten Tag!“, brummte er überrascht zurück, als er die Tal-Ente vor sich stehen sah.
„Wer bist denn du? Und warum weckst du mich auf?“, wollte er mürrisch wissen.
„Ich bin die Tal-Ente. Ich komme aus dem Tal am Fuß des Berges und habe mich auf den Weg gemacht, die Berg-Ente oben am Berg zu besuchen. Aber dafür müsste ich dem Weg weiter folgen, auf dem du sitzt. Lässt du mich bitte vorbei?“
„Haha hahaha!“, lachte der braune Bär schallend. Denn nur weil eine Ente vor ihm stand, bedeutete das nicht, dass er, der große Bär, sich von seinem bequemen, sonnigen Plätzchen wegbewegte.
„Du möchtest hier vorbei? Na dann möchte ich aber einen Grund haben, warum ich jetzt aufstehen soll. Das ist nämlich mein Lieblingsplatz und hier gehe ich gar nicht gerne weg, weil mich hier die Sonne so schön wärmt.“, brummte der Bär.
„Na, ja, ich könnte dir eine Geschichte erzählen.“, schlug die Tal-Ente vor.“ Die Waldmaus hatte sich ja auch über ihre Geschichte gefreut, dachte sie. „Oder ich singe dir ein Lied vor!“
„Eine Geschichte oder ein Lied? Hm, kannst du mir auch ein Gedicht aufsagen?“, fragte der Bär. Er las nämlich sehr gerne, und Gedichte gefielen ihm besonders gut.
„Ein Gedicht?“, fragte die Tal-Ente verwirrt. „Was ist das denn?“
„Das ist ein Text, den man jemandem aufsagt. Dieser Text klingt rhythmisch und kann sich reimen.“
„Was bedeutet ‚rhythmisch‘, und was heißt ‚reimen‘?“, fragte die Tal-Ente neugierig, die diese Worte noch nie gehört hatte.
„Reimen geht zum Beispiel so: ‚der Stein ist klein‘ oder ‘der Hund ist rund‘. Die gereimten Wörter klingen ganz ähnlich: Stein – klein, Hund – rund. Und „rhythmisch“ bedeutet, dass die Wörter des Gedichts in regelmäßigen Abständen zueinander gesprochen werden. Auch die Pausen zwischen den Wörtern sind regelmäßig und haben eine bestimmte Länge. Dadurch bekommt man das Gefühl, die Sätze hätten eine gesprochene Melodie, fast so, wie ein Lied. Ein Gedicht ist also eine Geschichte, die besonders gesprochen wird.“, sagte der Bär.
Die Tal-Ente dachte eine Weile über die Worte des Bären nach. Dabei watschelte sie hin und her, und her und hin. Schließlich antwortete sie ihm Folgendes:

Der Bär in seiner Höhle saß,
und dachte „Ach, ich fress‘ jetzt was!“.
Doch er konnte nichts finden,
außer Fichtenrinden…
„Ich habe Hunger wie ein Bär,
denn mein Magen, der ist leer!“
Doch die Tal-Ente ist schlau,
denn sie weiß ganz genau,
dass auf ihrer Reise,
heimlich, still und leise,
ein honigtropfendes Bienennest war –
der große, braune Bär es sah…
…kaum entdeckt, der Bär schon Honig schleckt!

Da war der Bär ganz verblüfft, denn so ein langes und schönes Gedicht hatte er von der Tal-Ente nicht erwartet. Schließlich hatte sie davor noch nie gedichtet!
„Sag, Tal-Ente, stimmt das? Hast du etwa wirklich einen Bienenstock entdeckt? Ich habe so lange keinen Honig mehr gefressen.“, seufzte er voller Appetit.
„Ja, Bär, ich sage dir, wo du den Bienenstock findest. Lässt du mich dafür weitergehen?“, fragte die Tal-Ente.
„Abgemacht!“, antwortete der Bär.
„Also gut. Folge dem Trampelpfad bergab und ein Stückchen in den Wald am Fuße des Berges hinein. Du musst an einer kleinen Lichtung vorbei. Auf der linken Seite wirst du bald die Bienen summen hören.“
„Danke, Tal-Ente. Ich werde mich gleich auf den Weg machen. Somit ist auch für dich der Weg wieder frei, denn Honig ist ein guter Grund für mich um aufzustehen!“, freute sich der Bär.
„Ich bedanke mich auch, das Dichten hat mir Spaß gemacht! Das war etwas ganz Neues für mich.“
Der Bär brummte: „Dein Gedicht hat mir gut gefallen! Dafür dass du das noch nie davor gemacht hast, war das wirklich ausgezeichnet! Du hast ein sehr gutes Sprachgefühl. Und für mich war es auch noch sehr interessant!“, schmunzelte der Bär.
Da freute sich die Tal-Ente sehr. Die beiden verabschiedeten sich voneinander und jeder ging seines Weges.
Munter watschelte die Tal-Ente also weiter bergauf auf dem Pfad um zur Berg-Ente zu gelangen. Fröhlich reimte sie noch ein bisschen vor sich hin und freute sich über das Lob des Bären.